Haiku, der komprimierte Moment

Haiku, der komprimierte Moment

Haiku: Merkmale, Geschichte und Anregungen zum Haiku-Schreiben

 

Das Haiku ist eine japanische Gedichtform, die vor allem durch ihre Kürze besticht. Ursprünglich aus Japan kommend, ist diese kurze Gedichtform heutzutage beliebt auf der ganzen Welt.

Egal ob als Freizeitvergnügen, als Streben nach literarischem Erfolg, als kreatives Sich-Üben, als Mittel, um sich zu fokussieren, als Achtsamkeitsübung, als Entspannung- bzw. Meditationstechnik, als Verneigung vor der Natur, als besondere Freude am Morgen oder am Abend, das Schreiben von Haikus macht einfach viel Spaß!

 

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Merkmale des Haiku

Für das Schreiben eines Haikus gibt es einige Vorgaben, bzw. Regeln. So wie allgemein üblich in der Kunst sind die Regeln zwar da, müssen aber nicht akribisch eingehalten werden.

Hier die wichtigsten Haiku-Merkmale in Kürze:

  • Kürze: nur 3 Zeilen
  • Silbenvorgaben: 5,7,5 Silben 
oder etwas freier: 10 bis 17 Silben gesamt; die mittlere Zeile ist meist die längste
  • Kein Titel
  • Keine Reime
  • Gegenwärtigkeit: Meist geht es um etwas in der Gegenwart oder um eine Person in der Gegenwart, die sich an die Vergangenheit erinnert. Typisch sind Jahreszeitenworte oder Hinweise aus der Natur, die das Gedicht zeitlich verankern
  • Konkretheit: Haikus stellen Erlebtes oder Blickwinkel nicht abstrakt, sondern konkret dar. (Bsp.: sinnliche Details)
  • Äußere Welt: Meist wird etwas in der äußeren Welt gezeigt, weniger in der inneren Welt (Gedanken, Emotionen) des Haiku-Schöpfers. Jahreszeitliche Erscheinungen und Natur symbolisieren meist die Gefühle.
  • Nachdenklich machend: Oft bleibt nach dem Lesen des Haikus ein Nachhall, etwas, das zum Weiterdenken anregt, etwas offen Gelassenes.

 

Geschichte des Haiku

Die Geschichte des Haiku beginnt im Mittelalter in Japan, es entwickelte sich aus dem damals verbreiteten Kettengedicht (Renga) heraus. In geselliger Runde war es üblich, nach bestimmten Regeln reihum zu dichten. Teilweise hatten diese Kettengedichte bis zu 36 Strophen. Der erste Teil eines solchen Kettengedichtes hieß Hokku und entsprach in etwa dem heutigen Haiku. Ein Beispiel für ein kurzes Kettengedicht ist das Tanka mit 5 Zeilen mit je 5,7,5, und 7,7 Silben.

Ab der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts erschien das Hokku als eigenständige Gedichtform und nicht nur als Teil eines Kettengedichtes. Breiter bekannt wurde das Hokku erst im 17. Jahrhundert, meist als Scherzgedicht.

Ein Beispiel:

Fliegt die gefallene
Blüte zurück an den Zweig?
Ein Schmetterling!
                         von Arakida Moritake (1473-1549)

 

Im 17. Jahrhundert trug Matsuo Bashō (1644-1694), entscheidend für die Ausbreitung des Hokku als ernsthafte Literatur bei. Von ihm sind rund tausend Hokku überliefert.

Beispiele von Bashō:

Stille!
Der Zikadenlärm dringt
in den Stein.

 

Vollmond.
Die ganze Nacht ging ich
rund um den Teich.

 

Und das meist zitierte:

Der alte Weiher,
ein Frosch springt hinein,
Oh! Das Geräusch des Wassers.
                               Von Matsuo Bashō (1644-1694)

 

Erst im 19. Jahrhundert erhielt das Hokku durch Masaoka Shiki (1867-1902) den Namen Haiku. Er betonte den Realismus im Haiku.
Beispiel:

In der Kneipe
wird wieder laut gestritten.
Verschleierter Mond.
                         Von Masaoka Shiki (1867-1902)

 

Anfang des 20. Jahrhunderts kam das Haiku nach Europa. Vorreiter war Frankreich, daraufhin fühlten sich deutsche Dichter durch die französischen Veröffentlichungen inspiriert, so etwa Rainer Maria Rilke:

Beispiel:

Kleine Motten taumeln schaudernd quer aus dem Buchs;
sie sterben heute Abend und werden nie wissen,
dass es nicht Frühling war.
Von Rainer Maria Rilke (1875-1926)

 

Heutzutage ist das Haiku in fast allen Kulturen der Welt vertreten. Es gibt zahlreiche nationale Haiku-Gesellschaften, mehrere internationale Haiku-Vereinigungen, es werden europäische Haiku-Kongresse veranstaltet, in Japan gibt es Zeitungen mit Haikus und es ist dort eine Art meditativer Volkssport geworden, Haikus zu dichten.
Auch im Rest der Welt hat sich das Haiku-Dichten zu einer weit verbreiteten Leidenschaft entwickelt, es gibt Haiku-Schulen, Haiku-Vereine, zahllose Haiku-Wettbewerbe und Haiku-Kolumnen in größeren Tageszeitungen.

 

Weitere dem Haiku verwandte Gedichtformen

Tanka

Das Tanka ist ein kurzes Kettengedicht. Es besteht aus einer dreizeiligen Oberstrophe mit 5,7,5 Silben (Haiku) und einer zweizeiligen Unterstrophe mit 7,7 Silben

Renga

Das Renga ist ein Kettengedicht, das aus aneinandergereihten Tankas besteht. Es war im Mittelalter ein beliebtes Gesellschaftsspiel in Japan. Eine Person dichtet die sog. Oberstrophe, die nächste Person dichtet dann die Unterstrophe dazu und so weiter. Die jeweils nachfolgende Strophe muss zu der vorhergehenden Strophe einen Zusammenhang haben.

Haiga

Die Verbindung von einem Haiku mit einem Bild wird Haiga genannt. Es kann sein, dass das Bild zuerst da war und man ein Haiku dazu schreibt oder man nimmt ein Wort aus einem Haiku und malt ein Bild dazu. Das jeweilige Bild kann ein Gemälde, eine Zeichnung, ein Foto etc. sein.

Utamakura

Die Verbindung von besonderen Orten und Gedichten wird in Japan Utamakura genannt. Seit jeher haben Dichter auf ihren Wanderungen Gedichte zu besonderen Orten geschrieben. Auch in Japan gibt es viele Beispiele dafür, bereits Bashō hat in seinem Buch „Auf schmalen Pfaden durchs Hinterland“ eine solche Dichterreise beschrieben. Auch heute gibt es viele schöne Aktivitäten, wie gemeinsame Haiku-Spaziergänge in Parks oder draußen in der freien Natur, die von Haiku-Fans auf der ganzen Welt gemeinsam oder alleine durchgeführt werden.

 

Anregungen zum Haiku-Schreiben: Wohin die Worte tragen

  • Zuerst einmal ist es sehr praktisch, sich eine Vorlage herzustellen, eine Schablone, in die man, ohne allzuviel zählen zu müssen, die Silben setzen kann. Einfach ein Blatt Papier nehmen und in drei Zeilen je 5,7 und 5 Unterstriche zeichnen als Vorgabe für die Anzahl der Silben.
  • Eine perfekte Inspiration bieten die Natur, der Blick aus dem Fenster, Jahreszeiten, beobachtete Kontraste, Gefühle, die sich im Außen spiegeln.
  • Wer üben möchte, kann einfach hinaus in die Natur gehen, sich irgendwo hinsetzen und eine Kleinigkeit in der Umgebung ansehen. Eine kleine Scherbe auf dem Asphalt, ein Unkraut, das aus der Wand wächst, ein Käfer, der auf dem Rücken liegt. Und dann ohne Perfektionsanspruch losdichten, sich ausprobieren.
    Gut ist, wenn man mehrere Vorlagen mitnimmt, so kann man mehrere Haikus schreiben. Letztlich ist es ein Spielen und Ausprobieren, oft ohne genau zu wissen, wohin einen die Worte tragen. Und oft ist man über das Ergebnis überrascht.
  • Falls direkt nach dem Schreiben der Haikus noch Unsicherheit da ist, ob das Gedicht einem überhaupt gefällt: einfach abwarten und sich schrittweise von dem Schreibprozess lösen. Das kann auch ein paar Tage dauern, erst dann sollte man das Haiku mit kritischen Augen betrachten (wenn überhaupt).
  • Besonderen Spaß macht es auch, mit anderen Haiku-Dichtern hinaus in die Natur zu gehen, auf einen Spaziergang oder eine Wanderung und vielleicht an einem gemeinsamen Haiku-Band zu arbeiten. Gehen, hinsetzen, beobachten, schreiben, weitergehen. Und am Ende die frisch entstandenen, komprimierten kleinen Wunder zusammentragen und sich daran erfreuen!

 

Weiterführende Informationen zum Thema Haiku:

Interessanter Link: haiku.de >>  Deutschsprachige Haiku-Gesellschaft e.V. mit zahlreichen Informationen zum Haiku, einer eigenen Zeitschrift, einem Forum und mehr.

Interessantes Buch: Volker Friebel (2019): Das Haiku. Grundwissen – Vertiefungen – der Horizont. Edition Blaue Felder, Tübingen.

Interessanter Roman zum Thema Haiku-Schreiben (in Verbindung mit Liebe natürlich): Denis Thériault: Siebzehn Silben Ewigkeit, Roman, dtv

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