Buchmesse, Lesung

Wann immer die Buchmesse näher rückt, erinnere ich mich wieder an meine erste, scheußliche Lesung auf der Buchmesse in Leipzig.

Ich hatte gerade mein erstes Buch bei einem kleinen Verlag herausgebracht. Da ich bereits im Vorjahr auf der Buchmesse spazieren gegangen war, erwartete ich, vor einem Publikum mit einem, zwei oder maximal drei Zuhörern zu lesen. Das hatte ich bei den kleineren Verlagen beobachtet, ihre Autoren lasen in einer Art Lesenische mit einem Stehpult und etwa 3 Stühlen für die Zuhörer. Das Publikum: Messebesucher im Burn-out-Modus, müde Rücken, schmerzende Füße, froh über eine Sitzpause. Sie ließen sich von den lesenden Autoren nicht stören.

Daher hielt sich meine Angst in Grenzen. Obwohl es meine allererste Lesung war, und obwohl ich das Buch unter Pseudonym veröffentlicht hatte, weil es sehr persönlich wirkte und ein Lesen daraus einem Outing gleichkam. Vor ein bis zwei desinteressierten Personen, die sowieso nicht hinhörten, das würde ich überleben.

Sobald ich auf der Messe angelangt war, machte ich mich mit dem Katalog in der Hand auf, meinen Leseort zu suchen. Ging Reihe um Reihe entlang, immer die niedlichen kleinen Leseplätzchen neben den Verlagsständen im Visier.

Bis ich schließlich ankam. Ich überprüfte die Nummer noch zwei Mal, weil ich es nicht glauben wollte. Der Ort für meine Lesung, eine Art Saal ohne Wände, mit Plätzen für an die 150 Zuhörer. Eine riesige Menge!

Und sie waren bereits alle da. Lauschten andächtig einem in die Jahre gekommenen Schlagersänger, der seine Memoiren geschrieben hatte und vor mir dran war.

Der Gedanke, vor dieser Menschenmasse lesen zu müssen, bewirkte auf der Stelle eine mentale Schwärze. Bis mir langsam klar wurde: Nein, ich würde natürlich nicht vor solchen Massen lesen müssen! Sobald der Schlagersänger fertig war, würden sie sich aufmachen zu anderen Stars und anderen Prominenten. Und ich würde mit ein oder zwei positiv blickenden schwerhörigen Zuhörern zurückbleiben.

Um es kurz zu machen: Der Star ging. Das Publikum blieb. Auch ihnen taten ganz offensichtlich die Füße weh. Ich erreichte wie betäubt den Tisch, zitterte das Mikrofon vor meinen Mund. Vor mir 150 leise murmelnde, gänzlich desinteressierte Zuhörer.

Na, ja, ich habe es überlebt.

So viele Zuhörer habe ich bis heute nie mehr gehabt. Mit dem Schlagersingen wollte ich aber trotzdem nicht angefangen. Kommt vielleicht noch.